Mittwoch, 1. Sept. 2021, frühmorgens um 5 Uhr. Grafing dämmert noch friedlich vor sich hin. Nur am Volksfestparkplatz gschaftln drei unternehmungsbereite DAV-Gestalten (Margot, Brigitte, Manfred) umanand, um drei riesige Rucksäcke in Margots Pkw unterzubringen. Schließlich will alles mitgenommen sein, was man für fünf Tage Höhenweg so brauchen könnte, für gutes Wetter, für schlechtes Wetter, für Hitze, für Kälte, für Nässe, für Hüttenübernachtungen unter Corona-Bedingungen, Impfbuch, FFP2-Maske. Das Wetter der letzten Tage war denkbar mies, Dauerregen, stürmisch, viel zu kalt, Schnee in den höheren Bergen. Nun verspricht der Wetterbericht viel Sonnenschein für drei Tage. Also geht‘s los, über Kufstein, das mondäne Kitzbühel und durch den Felbertauerntunnel nach Matrei in Osttirol. Unterwegs sehen wir viele schneebedeckte Gipfel, gut, dass wir auch Handschuhe und warme Mützen eingepackt haben! Oberhalb von Matrei stellen wir unser Auto am Parkplatz Guggenberg bei der Ganzermühle ab – wir sind jetzt immerhin schon 1157 m hoch. Kurz noch ein wenig vom Mitgebrachten frühstücken, prophylaktisch Blasenpflaster verkleben, die Stöcke einstellen, die Rucksäcke mit viel Ächzen schultern, ein Blick auf die Uhr: 8:30 Uhr. Abmarsch.
Unser erstes Zwischenziel ist die Arnitzalm, 1848 m, 2,5 h laut Wegweiser. Schon nach 2,5 Minuten müssen wir stoppen, Anoraks aus, viel zu warm! Blauer Himmel, nur ein paar kleine weiße Wolken in der Ferne. Und was für ein Anblick über das Virgental hinweg: vor uns das imposante Venedigergebiet und ein bisserl weiter rechts erst die Schobergruppe und dahinter das beeindruckende Glocknergebiet. Wow! Dieses Panorama sollte uns die ganzen fünf Tage begleiten und aus verschiedenen Blickwinkeln begeistern.
Nun geht‘s kurzärmelig über meist mehr oder weniger breite Almwege hinauf zur idyllisch gelegenen Arnitzalm. Sie hat im Jahre 2010 den Titel „Alm des Jahres“ verliehen bekommen und war eine sehr beliebte Jausenstation, ist jetzt aber, wie es heißt, dauerhaft geschlossen. Na ja, das ist jetzt nicht so schlimm für uns, schließlich hat uns Margot reichlich von den Gräsern und Kräutern am Wegesrand kosten lassen, da stecken jede Menge Mineralien und Energien drin für Power ohne Ende.
So geht es also ohne Jause auf nun schmalen, abwechslungsreichen Pfaden und Steigen weiter auf dem Lasörling Höhenweg bis zur Steffer-Alm. Hier verlassen wir den eigentlichen Höhenweg, um unseren ersten Gipfel zu packen, den Oberstkogel, 2570 m. Wir sehen ihn schon eine Weile rechts vor uns aufragen, etwas weiter links auch den Großen Zunig, aber erst mal heißt‘s einen ziemlich langen, breiten, staubigen, nervigen Almweg hinaufzugehen zum Zustieg auf den Oberstkogel. Die Wegfindung ist nun nicht leicht, kein Wegweiser, Markierungen Mangelware! Irgendwie gelangen wir meist weglos über Weidegelände zum Südost-Kamm. Hier ist der Pfad zum Gipfel gut erkennbar, gut markiert und an heiklen Stellen sogar durch Drahtseile entschärft. Das ist auch gut so, denn es geht öfter mal rechts recht steil abwärts. Und schließlich brauchen wir auch was zum Festhalten, um die schöne und abwechslungsreiche Flora zu bewundern und zu fotografieren, die natürlich an den am meisten ausgesetzten Stellen wächst und gedeiht. Wer wissen will, welche Blumen das sind, muss Margot fragen, sie hat‘s uns gesagt, aber ich weiß es nicht mehr. An Edelweiß kann ich mich noch erinnern, ganz viel Edelweiß! „Edelweiß, zum mahn!“, hat Margot gemeint, so viele! Bald darauf erreichen wir den Gipfel.
Wow – was für eine Rundumsicht! Um uns herum alle Gipfel, Höhen und Täler der Lasörlinggruppe, im Norden über das Virgental hinweg Venediger und Großglockner, im Süden jenseits des Defereggentals die Villgratner Berge. Das Gipfelkreuz ist vom Künstler sehr eigenwillig interpretiert, aber sehr fotogen.
Der Abstieg ist anfangs auch nicht ganz ohne, hier helfen an manchen Stellen auch Drahtseilsicherungen, führt im weiteren Verlauf aber sehr angenehm durch Almrosen und anderes Gebüsch, tiefer auch gesäumt von licht stehenden Lärchen schließlich am idyllisch gelegenen Lackensee (2140 m) vorbei. Wir müssen weit in das Tal absteigen, einen Bach queren und dann gleich wieder hochsteigen, und nochmal runter, um endlich wieder auf den Lasörling Höhenweg zu treffen. Der führt uns nun relativ flach dem Gelände folgend in vielen Kehren zur Zupalseehütte, unser Tagesziel auf 2350 m Höhe. Als wir sie endlich in der Ferne sehen, steht die Sonne schon ziemlich tief. Gleich sind wir da, denken wir, hoffen wir. Aber es zieht sich noch eine halbe Stunde. Wenn doch nicht der Rucksack so drücken und die Füße nicht so brennen würden! Und das Abendlicht ist so stimmungsvoll, die Landschaft vor uns mit dem Zupalsee und der Hütte wirkt so friedlich, so lieblich, nur der Durst wird immer schlimmer! Zehn Stunden nach unserem Aufbruch heute morgen haben wir die erste Etappe geschafft. Und wir sind geschafft! Und glücklich. Weil‘s so schön war, so unglaublich schön.
Auf der Zupalseehüte erhalten wir ein nettes Zimmer für die Nacht, genießen die Dusche, bekommen was Gutes zu essen und zu trinken, kraulen zum Tagesabschluss noch dem riesigen Hüttenbernhardiner das Fell bis er schnurrt wie ein Kätzchen, und fallen dann erschöpft ins Bett. Was für ein Tag, was für Eindrücke, was für Aussichten, was für ein Wetter, was für eine Ruhe! Ich glaube, wir sind auf dem ganzen Weg keinem einzigen Menschen begegnet, erst jetzt auf der Hütte.
Brigitte Dicker & Manfred Stiegler