Bergwanderung unter dem Motto„Was wächst und blüht denn da?“ am Geigelstein

Geigelstein – der Blumenberg

Von Schleching aus über die Nordroute auf den Geigelstein, sprich: 1600 Höhenmeter, insgesamt 17 Kilometer und 30.000 Schritte. Eine kurzweilige und reizvolle Tour, die mit schönen Ausblicken überrascht. Und wenn man, wie wir, in der Zeit zwischen Schneeschmelze und Frühsommer unterwegs ist, kann man hier eine einzigartige Flora und Fauna erleben.

Blumenpotpourri

Doch schön langsam und von vorne: Margot Morris, eine ausgebildete Heilkräuterpädagogin, hat diese Tour geplant und wir sind ihr zu Acht gefolgt. Das Ziel: die alpinen Kräuter und Blumen rund um den Geigelstein kennenzulernen. Die ersten Kilometer führen über einen steinigen ehemaligen Säumerpfad aufwärts durch den Wald, gerade recht, um sich warm zu laufen, bevor man das Hochtal mit der malerischen Haidenholzalm erreicht. Die Situation, die uns dort erwartet hat, könnte Ludwig Ganghofer nicht besser beschreiben: Sonne und Frühlingswiesen und die Sennerin, die erstmals in diesem Jahr ihre Hüttn aufsperrt, ein Blümchen auf den Tisch stellt und die Getränkekarte ans Gartentürl lehnt. Durch den Waldweg herauf klingen die Glocken der Kühe, die gerade ins Sommerquartier getrieben werden. Die Almsaison beginnt just in diesem Moment, als wir uns zu einer kurzen Pause vor der Hütte niederlassen. Eine romantische Stimmung, die leider getrübt wird. Ein Rettungshubschrauber dreht eine Runde, der Pilot sondiert die Lage, landet auf der Wiese und treibt die Kühe in alle Richtungen auseinander. Einer unserer Wegbegleiter muss zu Tal und in die Klinik gebracht werden. Zum Glück hat Margot die Symptome, kalter Schweiß, Übelkeit und Schmerzen, ernst genommen, schnell gehandelt und sofort die Bergwacht alarmiert. Das achtköpfige Einsatzteam, das in weniger als 20 Minuten da ist, gibt uns Zuversicht: Sie kamen rechtzeitig, unser Bergspezl ist jetzt in guten Händen und fliegt mit dem Rettungshubschrauber davon. Die Nerven fürs Erste ein wenig beruhigt, entscheiden wir uns, weiterzugehen.

Gipfelbrotzeit

Weiter heißt, einen Hang hinauf und entlang des Alpbachs über die Nordflanke. Rechts oben spitzt der Weitlahnerkopf hervor. Er liegt nicht auf dem Weg, ist aber unbedingt einen Abstecher wert. Gute 1000 Höhenmeter haben wir auf dem kleinen Gipfel hinter uns und einen reizvollen Blick vor uns. Wer gerne den steilen Felsenabriss vor den Zehenspitzen hat, kann seinen Blick nach Osten und auf die imposanten Gipfel rund um Berchtesgaden schweifen lassen. Für die weniger Mutigen bietet die andere Richtung das weich abfallende Gelände und dahinter das schön modellierte Bergpanorama jenseits des Inntals.

Auf dem Gipfel des Geigelsteins

Der Weitlahnerkopf ist Teil des Naturschutzgebietes Geigelstein, das in den 1990er-Jahren auf eine Bürgerinitiative hin gebildet wurde und den Artenreichtum an Bergblumen erhalten soll. Wir verlassen den Gipfel wieder, es geht runter und wieder hinauf, bis zur denkmalgeschützten Roßalm. Es ist die höchstgelegene Alm im Chiemgau, am Rande einer weiten Hochebene. Durchtrennt wird das Tal von einem 500 Jahre alten Wall. Er markierte im 16. Jahrhundert die ehemalige Grenze der bayerischen und österreichischen Samerbauern und erhebt sich heute noch deutlich sichtbar aus dem Gelände. Noch einmal werfen wir einen Blick zurück. In der Ferne sind nun die Berggipfel in ein tiefes Blau getaucht, dann geht es über einen Kamm. Auf dem kalkhaltigen Boden lassen Blumenwiesen erahnen, was uns gleich erwarten wird.

Die Gruppe im Aufstieg

Bis hierhin waren wir von Margot immer wieder auf Pflanzen hingewiesen worden, denen wir alleine vielleicht gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Darunter sind botanische Namen, die wir bedauerlicherweise bereits an der nächsten Kurve vergessen haben, und Blüten, die manche von uns nur aus dem Lexikon kennen. Aber nun kommen wir aus dem Staunen kaum mehr heraus. Vor uns ein unbeschreibliches Farbenspiel, mit Blumen dicht an dicht: Der Geigelstein, mit seiner latschenbewaldeten Westseite, wird flankiert von Enzian, Butterblumen, Trollblumen, Kugelblumen, Knabenkraut, Alpen-Pestwurz, weiße Silberwurz und in schattigen Nischen die winzige Soldanelle, die mit ihrem violetten, zart gefächerten Kelch den Frühling ankündigt. Der Geigelstein, der Blumenberg: 720 Farn- und Blütenpflanzen soll es hier geben, darunter laut Fauna-Flora-Habitatrichtlinie mehr als 110 geschützte Arten.

Trollblumen

Nun muss noch das Latschenfeld durchquert werden, dann haben wir unser Ziel erreicht. Wie eine erstarrte Welle türmt sich der Geigelstein auf, mit einer langgezogenen, grünen Flanke auf der einen, und einem felsigen, leicht überhängenden Abriss auf der anderen Seite. Hier gibt’s für uns, wie es sich gehört, den Berggruß am Gipfelkreuz (1808 m) und eine ausgiebige Brotzeit mit Rundumblick: die Berchtesgadener Berge im Osten, das Kaisergebirge, der Großvenediger und Großglockner im Süden, das Karwendel im Westen, und im Norden, wo es wieder flacher wird, spitzt der Chiemsee durch.

Alpenhahnenfuß

Wieder hinab geht’s im Zickzack, auf der Strecke, die im Winter die Skitourengeher lieben. Es wechseln sich Geröll und Latschen ab und zwischendrin immer wieder seltene alpine Gewächse. Rechts unter uns liegt die Priener Hütte, wir aber bleiben auf dem Weg in Richtung Wirtsalm. Von hier ab geht’s eine endlos lange Almstraße abwärts. Die Abkürzung über die alte Skipiste ist eine willkommene Abwechslung. Und wie hübsch, auch hier haben Blumen die Regie übernommen. Danach folgt ein Weg, der kein Ende zu haben scheint. Aha, und da sind ja auch noch unsere Kniegelenke.

Frauenschuh

Jeder in der Gruppe sehnt nun das Ziel herbei, der eine lauter, der andere leiser, denn mittlerweile haben wir nun doch schon einiges an Höhen- und Kilometern in den Beinen. Doch da werden wir auf dem letzten Streckenabschnitt durch den Wald noch einmal überrascht: Wir entdecken seltene Pflanzen, darunter sogar den Frauenschuh. So sehr es ihnen vorher auch pressiert hat, unsere männlichen Bergbegleiter können sich von diesem reizvollen Anblick kaum mehr trennen.

Pause

Eine sagenhafte Tour und empfehlenswert, trotz langem Hatscher am Ende des Tages. Ach ja, und das ist wohl das Wichtigste: Derjenige in unserer Gruppe, für den‘s per Rettungshubschauber runter ging, ist wieder wohlauf. Gott sei Dank.

Weiße Küchenschelle
Weitlahner
Wundklee

Autorin: Maria Weininger