Sonnjoch (2457 m) über Bärenlahner Sattel am 03.11.2024

Diese grandiose Gipfelüberschreitung im Karwendel ist nicht im Sektionsprogramm ausgeschrieben, sie ist ein kurzfristig angebotener Ersatz für die im Oktober wegen Schneefällen abgesagte Birnhorn-Tour. Unsere Tourenführerin Margot konnte sich bei einer Fortbildungsveranstaltung kurz vorher persönlich davon überzeugen, dass die Karwendelgipfel schneefrei sind, die Wettervorhersage ist günstig, und so nimmt die „Birnhorn-Truppe“ den Vorschlag begeistert und erwartungsfroh an.

Wegen der relativ langen Anfahrt und des mittlerweile frühen Sonnenuntergangs geht es schon um 5:30 Uhr mit dem Vereinsbus von Grafing los nach Pertisau. Als wir zur Straße ins Falzthurntal kommen, ist das Mauthäuschen verwaist, das spart uns die Mautgebühr und wir können gleich Richtung Gramai Alm durchfahren. Etwa 1,5 Kilometer davor ist unmittelbar vor einem Weiderost rechts ein kleiner Parkplatz, unser Start- und Endpunkt. Hier gibt ein Wegweiser an einer großen Fichte die Richtung zum Bärenlahner Sattel und zum Sonnjoch vor, das man in 4 Stunden erreichen soll. Es ist noch sehr kühl im Tal, wir ziehen uns warm an, satteln auf und marschieren um 7:30 Uhr los.

Erst geht es durch dichten Wald, dann durch niederes Gestrüpp zu einem trockenen, tief ausgespülten Bachbett, das wir queren und dem wir eine Weile bergauf folgen. Links ragen die mächtigen Felsen des Sonnjochs empor, im oberen Teil schon im hellen Sonnenlicht, vor uns in weiter Ferne erkennen wir schon den grasigen Bärenlahner Sattel, der unser erstes Zwischenziel sein soll. Rechts davon beeindrucken uns die steilen Wände der Schaufelspitze. Längst ist uns warm geworden, wir legen die oberste Kleidungsschicht ab, einige behalten die Handschuhe noch an. In stetiger Steigung schnaufen wir auf dem bequemen, aber steilen Weg dem Sattel entgegen. Plötzlich entdecken wir erst einen einzelnen Steinbock, dann eine kleine Junggesellenherde nahe am Steig. Möglichst unauffällig und leise nähern wir uns den imposanten Tieren, um sie nicht aufzuschrecken. Die zeigen jedoch keinerlei Scheu und grasen in aller Ruhe weiter. So können wir diese besonderen Bergziegenböcke mit ihren mächtigen Hörnern ausgiebig bei der Äsung beobachten, bestaunen und fotografieren. Ein sehr beeindruckendes Naturerlebnis. Nach einer Viertelstunde reißen wir uns endlich los zum Endspurt auf den Sattel.

Der langgezogene Bärenlahner Sattel wird von der Schaufelspitze und dem Sonnjoch eingerahmt. Wir blicken herunter ins Engtal, zum darüber thronenden Gamsjoch und zur Falkengruppe, lassen uns nieder zum verdienten Pausentee und genießen Brotzeit und Sonne. Nach 20 Minuten geht es weiter, zunächst über einen grasigen Buckel zu einer Felswand. Hier beginnt der schottrige, bröselige und teilweise steinschlaggefährdete Wegabschnitt zum Sonnjochgipfel, also Helm auf, Stöcke verstauen und ab in den Fels. Der Weg ist gut markiert und ohne große Schwierigkeiten, aber streckenweise mühsam zu gehen. Schrofen, Fels, grasige Abschnitte und Geröll wechseln sich ab, manchmal nehmen wir die Hände zuhilfe. Besonders mühselig wird es am Fuß einer kolossalen Felsmauer, wo wir nur auf allen vieren den steilen Schotter überwinden können. Oberhalb entschädigt uns dann der Ausblick über das Falzthurntal hinüber zum Rofan. Der Nebel aus dem Inntal ist heraufgezogen und überdeckt das Tal und den Achensee, nur die Berggipfel ragen heraus. Ein erhabenes Gefühl so hoch über den Wolken erfüllt uns für einen kurzen und stillen Moment. Dann wandert der Blick nach oben zu unserem Weiterweg und nach rechts in die gewaltigen Nordabstürze des Sonnjochs. Die harte Realität hat uns zurück, wir haben noch was vor uns!

Wir steigen am Rande eines Schneefeldes weiter auf, kraxeln über Schrofen, Geröll und Schotter einem Gratausläufer zu, hinter dem gerade die Sonne aufgeht und uns ein wenig blinzeln lässt. Gelegentlich glaube ich, tiefe Seufzer aus der Gruppe zu vernehmen, und ich glaube, das ist immer dann, wenn jemand mal kurzzeitig festen Fels unter seinen Vibram-Sohlen verspürt. Immerhin ist der Steig nirgendwo wirklich ausgesetzt, er ist halt öfter mal mühsam. Weiter oben wird das Gelände weniger bröselig, wir überwinden beherzt eine leichte Kletterstelle im festen Fels und sehen das Gipfelkreuz vor uns zum Greifen nah. Noch ein paar Meter gehen, noch eine kleine Kraxelei im letzten Aufschwung und wir sind oben – Helm ab, Sonnenbrille auf, Brotzeit raus!

Die Rundumsicht vom Gipfel ist phänomenal. Im Osten das Falzthurntal mit der Schaufelspitze, der Bettlerkarspitze und dem Falzthurnjoch links und dem Rofan dahinter. Die Nebeldecke ist etwas dünner geworden, der Achensee spitzt zaghaft hervor. Im Süden und Westen erkennen wir in der Nähe die Hochnissl-, die Lamsen- und die Grubenkarspitze, in der Ferne über das Inntal hinweg die schneebedeckten Bergriesen der Hohen Tauern und der Zillertaler Alpen. Im Norden blicken wir in die Eng mit dem dominierenden Gamsjoch. Es ist zehn nach elf, unsere Gruppe ist ziemlich schnell, trotz der intensiven Steinbock-Beobachtung und der ausgedehnten Pause am Sattel. Wir können uns eine ausgiebige Gipfelrast genehmigen. Den weitläufigen Gipfelbereich haben wir nicht für uns alleine, er ist reichlich bevölkert. Sie müssen mehrheitlich über den leichter zu gehenden Normalweg von der Gramai Alm heraufgekommen sein, denn auf unserem Aufstiegsweg haben wir nur zwei Gleichgesinnte getroffen. Diesen Normalweg wählen wir für unseren Abstieg.

Wir überschreiten also den Gipfel nach Westen und steigen in unzähligen Serpentinen den bröseligen und schottrigen Weg hinab. Es ist durchweg Gehgelände, die Stöcke leisten uns dabei hervorragende Dienste. Das Panorama ist immer noch atemberaubend, unsere Blicke sind aber meist konzentriert auf den Weg gerichtet, um nicht zu stolpern oder auf dem Brösel auszurutschen. Wir erreichen zügig einen Latschengürtel und bald darauf angenehmes Wiesengelände. Nun ist es nicht mehr weit zum Gramai-Hochleger. Der ist um diese Jahreszeit natürlich geschlossen, so hoffen wir auf eine Einkehr unten auf der Gramai Alm. Der breite Weg führt in einer Dreiviertelstunde durchgehend steil bis sehr steil hinunter zum Gramaier Grund und dann eine Viertelstunde ziemlich flach weiter zur Gramai Alm. Das gibt uns ausreichend Gelegenheit, linkerhand das Sonnjoch von seiner Südseite zu bewundern. Mächtig steht er da, der Berg, mächtig stolz wandern wir an seinem Fuß unserer Einkehr entgegen.

Die Enttäuschung ist dann groß, die Gramai Alm hat geschlossen, eine riesige Baustelle klafft davor. Vermutlich soll die Alm noch größer, noch luxuriöser, noch mondäner werden. Also hatschen wir gleich die 1,5 Kilometer zu unserem Bus auf dem Fußweg rechts neben der Asphaltstraße und planen die Abschlusseinkehr in Pertisau.

Für diese wunderschöne, aber auch etwas fordernde Sonnjoch-Überschreitung haben wir sieben dreiviertel Stunden gebraucht, mit einer reinen Gehzeit von sechseinhalb Stunden, bei knapp 1300 Höhenmetern und fast 12 Kilometern Weglänge. Eine wirklich lohnende Karwendel-Tour! Vielen Dank an Margot für das Organisieren, Fahren und Führen. Herzlichen Dank auch an die harmonische „Wohlfühl“-Gruppe, es hat großen Spaß gemacht.

Manfred Stiegler