Das Sonntagshorn ist der höchste Berg in den Chiemgauer Alpen, im Süden vom österreichischen Heutal, fast gemütlich und ohne technische Schwierigkeiten zu erwandern. Von Norden aber, von der deutschen Seite, ist der Anstieg wild und weit, entlang des Mittleren und Hinteren Kraxenbachs wildromantisch und im oberen Bereich im Auf- und Abstieg mit einigen anstrengenden und luftigen Kraxeleien garniert. Genau deswegen will unsere Führerin Maria Helminger mit uns gehen.
Wir sind zu fünft. Es hat die ganze Nacht geregnet und die Wettervorhersage verspricht erst vormittags Wetterbesserung. Entsprechend spät starten wir unsere Tour um 9:30 Uhr vom Holzknechtmuseum Ruhpolding/Laubau. Es nieselt noch leicht. Die ersten Kilometer marschieren wir brettleben auf einer breiten Almstraße zur Schwarzachenalm, wo wir dann nach rechts auf einen Pfad in Richtung Mittlerer Kraxenbach abbiegen. Der Weg ist nun abwechslungsreich und interessant. Erst queren wir einen breiten Bach, dann geht es stetig durch üppiges Grün aufwärts. Rechts rauscht der Mittlere Kraxenbach munter abwärts, an Felsstufen bildet er immer wieder mal Wasserfälle. Es ist sehr feucht um uns herum und die Sträucher und Bäume geben uns bereitwillig von ihrer Nässe ab, wenn wir auf dem schmalen Pfad daran längs streifen.
Nach und nach steigen wir aus dem Wald heraus und erreichen den breiten Geröllkessel „Großer Sand“ zwischen dem Sonntagshorn und dem Vorderlahnerkopf. Mächtig und imposant ragen die Felswände vor uns auf. Da heißt es nun hochklettern. Die Route ist gut markiert und führt oft entlang von schmalen Bändern. Aufstiegshilfen oder Sicherungen gibt es nicht. Es ist meist schwindelerregend luftig, der noch feuchte Fels erfordert größte Konzen-
tration und Sorgfalt. Die Gruppe kommt nur langsam vorwärts. Mit einer letzten Kraxelei erreichen wir die Stelle, an welcher der Weg vom Südaufstieg auf den Grat trifft. Von hier sind es nur noch wenige Minuten am Grat entlang, aber Gehgelände hinauf zum Gipfelkreuz. Wir erreichen es um halb vier.
Wir sind unterwegs keinem Menschen begegnet, auch den Gipfel haben wir für uns allein. Seit wir den Wald verlassen haben, ist es trocken geblieben, das Wetter hält. Die großen Wolken geben ab und zu etwas blauen Himmel frei, die Sonne spitzt durch, die Rundumsicht ist im Nahbereich passabel, in die Ferne doch ziemlich eingeschränkt. Respekteinflößend und mächtig sehen wir die zackigen, hoch aufragenden Nordabstürze des Bergzugs, der sich vom Sonntagshorn nach Westen erstreckt. Nach Osten ist es nicht weniger beeindruckend. Wir schauen auch tief hinunter ins Kraxenbachtal, da wollen wir nun hin.
Nach Gipfelbrotzeit und -selfie brechen wir wieder auf. Wir steigen nach Osten steil in die Sonntagshornscharte ab und kraxeln aufmerksam weiter hinunter, bis wir eine „Sandreißen“ erreichen, die wir mehr oder weniger beherzt „abfahren“ können. Wir sind im Hinteren Kraxenbachtal angekommen, pulen uns Unmengen von Steinen aus den Schuhen und tauchen in den Wald ein. Der Hintere Kraxenbach begleitet uns rauschend. Mehrmals müssen wir ihn auf unserem Weg queren, mehrmals bewundern und bestaunen wir die Wasserfälle, die er über hohe Felsstufen bildet. Der Weg ist nicht überall einfach, er hat an einigen steilen und felsigen Abschnitten so seine zeitraubenden Tücken. Abwechslungsreich geht es durch das ursprüngliche und wilde Tal hinab.
Als wir den Talboden etwas oberhalb der Schwarzachenalm erreichen, dämmert es bereits. Am Parkplatz angekommen ist es dunkel. Wir sind auch im Dunkeln glücklich und zufrieden, dass jeder in der Gruppe diese lange, schwierige und herausfordernde Tour gemeistert hat – und dankbar, dass wir diese einmaligen Eindrücke aus üppigem Wald, wildem Wasser, nervigem Geröll, steilem Fels, aufregender Kraxelei und entspannter Gipfelrast erfahren und erleben durften. Danke, Maria, für deine umsichtige, klare und geduldige Führung.
Manfred Stiegler