Nachdem bei der letztjährigen Tour auf den Schwarzenstein der Alters- und Leistungsunterschied der Teilnehmer doch erheblich war, keimte in mir die Idee, einen Eiskurs speziell für junge Bergsteiger anzubieten. Die noch fitten und jung gebliebenen älteren Semester mögen es mir verdenken, dass ich diese Idee heuer in die Tat umgesetzt habe, wenngleich ich ja selber auch schon zu den gesetzteren Bergsteigern zähle. So fuhren wir Ende Juli zu acht in das hintere Pitztal nach Mittelberg, wo unser Aufstieg zum Taschachhaus startete. Es war schwülwarm und mit den schweren Rucksäcken mühten wir uns hinauf zur Hütte. Nachdem wir das Lager bezogen und uns gestärkt hatten, besprachen wir zunächst das Anseilen auf dem Gletscher und machten erste Trockenübungen zum Thema Spaltenbergung. Am nächsten Tag erwartete uns ein wolkenloser Himmel und nach einem reichlichen Frühstück gingen wir zunächst den westlichen Talweg in Richtung Sexegertenferner. Der kürzere östliche Talweg ist seit einiger Zeit wegen Steinschlaggefahr gesperrt. Auch das ist eine Auswirkung des Klimawandels, da durch den schwindenden Permafrost die Berge regelrecht auseinanderfallen. Dort, wo vor einigen Jahren der Sexegertenferner noch eine mäßig steile Gletscherzunge ins Tal streckte, sind jetzt steile Felsplatten. Um zu unserem Ziel, der Ötztaler Urkund zu gelangen, mussten wir erst diesen steilen Felsriegel über einen neu angelegten Klettersteig überwinden. Oben angelangt konnten wir endlich die Steigeisen und das Seil anlegen und mit dem Kursbetrieb beginnen. Zuallererst wurde der richtige Umgang mit Steigeisen und Pickeln geübt. Am Sattel der Ötztaler Urkund angelangt, suchten wir uns einen geeigneten Platz, um die Techniken des Spaltenbergens auszuprobieren. Schwerpunkt wurde dabei auf die Technik des Mannschaftszuges und die sogenannte „Lose Rolle“ gelegt. Ein direkter Abstieg zum Taschachferner war leider wegen des Gletscherückgangs nicht vertretbar. Immerhin stiegen wir dann mit Fixseiltechnik die steile Restzunge des Sexegertengletschers direkt ab, sodass uns der Abstieg über den Klettersteig, der immerhin mit B/C bewertet ist, erspart blieb. Gerade rechtzeitig vor einem Gewitter erreichten wir wieder das Taschachhaus und konnten uns von der wirklich ausgezeichneten Küche verwöhnen lassen.
Am Sonntag war dann frühes Aufstehen angesagt. Obwohl der Wetterbericht Regen- und Schneeschauer ankündigte, wollten wir eine Besteigung der 3768 m hohen Wildspitze nicht unversucht lassen. Ab 4 Uhr gab es Frühstück und um 5 Uhr sind wir losmarschiert. Zur Morgendämmerung legten wir die Steigeisen am blanken Taschachferner an und begannen mit dem langen Eisaufstieg. Insgesamt sollten bis zum Gipfel 1400 Höhenmeter und gut 8 km Wegstrecke bewältigt werden. Auf etwa 3000 m Höhe legten wir dann das Seil an und folgten der ausgetretenen Spur bis hinauf auf das Pla-
teau unterhalb des Mitterkarjoches. Jetzt wurde es richtig spannend, da der mir als harmlos in Erinnerung gebliebene Steilhang hinauf zum Gratbeginn der Wildspitze von großen Spalten durchzogen war und die noch vorhandenen Schneebrücken einen maroden Eindruck machten. Alle Teilnehmer meisterten diesen Abschnitt aber mit Bravour im Auf- und Abstieg. Am Beginn des Felsgrates hinauf zum Gipfel deponierten wir Steigeisen und Pickel und gingen die letzten 150 Höhenmeter an. Kurz vor dem Gipfel war dann noch eine ausgesetzte Stelle im II. Schwierigkeitsgrat, aber auch die stellte kein größeres Problem dar. Pünktlich auf dem Gipfel riss dann die Wolkendecke auf, sodass wir einen tollen Blick auf die anderen Eisriesen der Ötztaler Alpen erhaschen konnten. Der Abstieg erfolgte über die Aufstiegsroute. Nach insgesamt zehn Stunden erreichten wir wieder das Taschachhaus. Von hier waren es noch einmal 9 km Wegstrecke und 700 Höhenmeter bis zum Parkplatz in Mittelberg. Abgesehen von zwei kurzen Regenschauern sind wir sogar trocken geblieben. Die angekündigte Front aus Nordwesten hatte sich anscheinend schon am Karwendel abgeregnet. Am Ende waren alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen begeistert von dieser fantastischen Unternehmung. Ich selbst freute mich sehr, dass ich jungen Bergsteigern die Großartigkeit unserer Alpengletscher näherbringen konnte, so lange es noch welche gibt.
Marcus Rau